Zwangsräumungen für palästinensiche Bewohner und weitere Bauprojekte für die jüdische Bevölkerung in Ost-Jerusalem

 

Während vor einem Jahr eine Welle von Zwangsräumungen und Häuserabrissen in Yaffa Fokus der Protestaktionen zum „Tag des Bodens“ (30. März) war, werden in diesem Jahr die Aktionen von den Ereignissen in Ost-Jerusalem überschattet. Bei dem „Tag des Bodens“ (siehe meinen Bericht zum „Tag des Bodens, März 2008“) handelt es sich um die Frage der Diskriminierung der palästinensischen Staatsbürger in Israel. Enteignungen in Ost-Jerusalem liegen außerhalb dieses Rahmens, denn die meisten Menschen, die sich für die Gleichberechtigung der palästinensischen Staatsbürger Israels einsetzen, betrachten Ost-Jerusalem als besetztes Gebiet. Diese Zuordnung ist allerdings nicht ganz eindeutig. Israel hat den Ostteil der Stadt durch das Jerusalem-Gesetz, das im Juli 1980 von der Knesset verabschiedet wurde, annektiert und das vereinigte Jerusalem zu seiner Hauptstadt erklärt,  während die palästinensische Führung weiterhin fordert, dass Ost-Jerusalem die Hauptstadt des zukünftigen palästinensischen Staats sein soll. Eine gegen die palästinensische Bevölkerung in Ost-Jerusalem gerichtete Enteignungspolitik hat somit notwendigerweise Implikationen für die Möglichkeit einer politischen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Nicht zuletzt trägt dies zu der Aktualität der Debatte innerhalb friedensorientierter Kreise über die ein- oder Zwei-Staaten-Regelung bei. Ende der 70er Jahre hatte Meron Benvenisti aufgrund seiner Erfahrung als stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem (1971-1978) zum ersten Mal die These vertreten, dass eine Zwei-Staaten-Regelung aufgrund der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten nicht mehr möglich ist. Die Osloer Verträge schienen das Gegenteil zu beweisen, aber das Scheitern des Osloer Prozesses hat die Frage erneut zum Gegenstand der Debatte gemacht. Ganz besonders in den letzten Monaten werden vor allem unter Palästinensern verstärkt Stimmen laut, die für die „unausweichliche“ Ein-Staat-Lösung plädieren. Im Gegensatz zu der Groß-Israel Konzeption werden damit gleiche Rechte für alle Einwohner eingefordert. Beobachter sind sich allerdings nicht darüber einig, ob die Ein-Staat Lösung tatsächlich ernst gemeint ist, oder lediglich als „Schreckgespenst“ gemeint ist, das die Zwei-Staaten Lösung fördern soll.  Auf jeden Fall bildet die Debatte einen Teil des Hintergrunds und Rahmens für die Kontroverse über die Entwicklungen in Ost-Jerusalem.

Gegenwärtig gibt es zwei besondere Brennpunkte. Der erste betrifft 88 Häuser im Bustan Viertel von Silwan, das in Ost-Jerusalem nahe der Altstadt liegt.  Bereits 2005 plante die Stadtverwaltung diese Häuser zwangsweise zu räumen und abzureißen, hat den Plan aber angesichts der öffentlichen Kritik nicht weiter verfolgt. Das Vorhaben ist somit nicht neu, allerdings bemüht sich erst die im November 2008 gewählte Stadtverwaltung um die zügige Umsetzung und lässt sich auch bisher nicht durch internationale Kritik, einschließlich der US- amerikanischen Außenministerin, davon abhalten.  Die Verfügungen zur Zwangsräumung werden in der Regel damit begründet, dass den Gebäuden die erforderliche Baugenehmigung der israelischen Bauaufsichtsbehörde fehle. Mehr als 1.500 Menschen sind somit von einer Zwangsräumung bedroht, die angesichts des akuten Wohnungsmangels in Vierteln mit palästinensischen Einwohnern auch kaum eine Aussicht haben, eine andere Wohnung in Ost-Jerusalem zu finden. Auf dem Gelände soll ein Nationalpark angelegt werden, der nach Meinung von Experten ein Teil der einstigen Davidsstadt ist.

Für die betroffenen Bewohner, die sich in einem Komitee zusammengeschlossen haben, um sich der Räumung zu widersetzen, ist der geplante Verwendungszweck wenig überzeugend. Sie sehen darin lediglich einen Beweis dafür, dass es darum geht, Palästinenser aus der Stadt zu vertreiben.  Auch erscheint ihnen die offizielle Begründung (die fehlende Baugenehmigung) unangemessen. Viele der von der Zwangsräumung betroffenen Gebäude wurden vor 1967 erbaut, d.h. bevor Israel das Gebiet erobert und besetzt hat. Ferner haben alle Stadtverwaltungen nach 1967 es weitgehend vermieden, Anträge von Palästinensern für Neu- und Umbauten zu genehmigen. Darüber hinaus ist das Argument von Recht und Ordnung im Baubereich besonders fragwürdig angesichts der allgemeinen israelischen Praxis, einschließlich der Stadtverwaltung von Jerusalem,  und insbesondere in bezug auf jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten. Ende Januar 2009 schrieb die Tagezeitung Ha’aretz, dass sie eine Kopie der ersten offiziellen israelischen Datenbank hat, die alle Siedlungen in den besetzten Gebieten erfasst. Nach dem Ha’aretz Bericht beweisen die Daten u.a., dass in den Siedlungen in circa 75 Prozent der Fälle ohne entsprechende Baugenehmigung oder in Verstoß gegen vorhandene Genehmigungen gebaut wurde, und dass in mehr als 30 Siedlungen Strassen, Schulen, Synagogen, religiöse Schulen und sogar Polizeistationen auf Boden gebaut wurden, der sich im Privateigentum von Palästinensern befindet. 

Der zweite gegenwärtige Brennpunkt ist in Sheikh Jarrah, einem anderen von Palästinensern bewohnten Viertel in Ost-Jerusalem. Dort hat die Entwicklung ein anderes Format,  führt aber zu einem ähnlichen Ergebnis. Seit Jahren gibt es dort wiederholt Fälle, in denen Israelis die Räumung von Häusern verlangen, die ihnen angeblich gehören, wobei die Eigentumstitel sich auf Eigentumsverhältnisse, die vor 1948 bestanden haben sollen, begründen. Israelische Gerichte sind grundsätzlich bereit, solche Eigentumstitel anzuerkennen, falls die entsprechenden Dokumente vorgelegt werden. Andererseits werden Eigentumstitel von Palästinensern, die als „absentees“ (Abwesende) gelten, weil sie sich zur Zeit des Waffenstillstandsabkommens von 1949 nicht auf israelischem Territorium befunden haben, in Israel grundsätzlich nicht anerkannt. Das heißt zum Beispiel, dass ein Palästinenser, der in dem von Israel annektierten Ost-Jerusalem lebt,  das Eigentum an dem Haus, das ihm oder seiner Familie vor der Staatsgründung in West-Jerusalem (oder einem anderen Ort in Israel) gehört hat, nicht einfordern kann, auch wenn er alle erforderlichen Dokumente besitzt.

Der Fall der Al-Kurd Familie, die ihre Wohnung im November 2008 auf eine solche Weise verlor, ist besonders bekannt geworden, nicht zuletzt aufgrund ihres anhaltenden Protests.  Die Familie, die aus Yaffa und Westjerusalem geflohen ist, lebt seit 1956 in Shaykh Jarrah. Dieses Viertel wurde 1956 gemeinsam von der UNO und der jordanischen Regierung zur Ansiedlung von palästinensischen Flüchtlingen des Krieges von 1948 gebaut. Gemäss der Vereinbarung zwischen der UNO und der jordanischen Regierung sollte das Eigentum drei Jahre später (d.h. 1959) an die Bewohner übergehen. Nach Angaben der Familie hat ein Vertreter einer jüdischen Organisation (Va’ad Sefaradi) dem israelischen Grundbuchamt in den 70er Jahren einen Mietvertrag in türkischer Sprache mit der Behauptung vorgelegt, dass es sich um eine Urkunde handelt, die bescheinigt, dass das Grundstück (und umliegende Grundstücke) bis 1948 Eigentum dieser Organisation war. Daraufhin wurde die Organisation im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Auf dieser Grundlage wurde die Räumung gefordert. In den 80er Jahren haben 27 Familien in der Umgebung, die von der Zwangsräumung bedroht waren, einen Vertrag unterzeichnet, in dem sie zumindest teilweise den Anspruch der Organisation anerkannten. Für die Anerkennung ihres Status als geschützte Mieter waren sie bereit, Miete in einen vom Gericht verwalteten Fond einzuzahlen, der der Organisation ausgezahlt wird, sofern diese ihren Eigentumstitel beweisen kann. In den 90er Jahren begann eine jüdische Siedlergruppe (Nakhalat Shimon), die von Benny Alon  unterstützt wurde, Häuser in dem Viertel zu besetzen. Dies war ein Teil des Alon und Ariel Sharon verfolgten Plans jüdische Wohngegenden in und zwischen Vierteln, die von Palästinensern bewohnt werden, zu errichten um Jerusalem unteilbar zu machen. 1999 hat die al-Kurd Familie an ihrem Haus angebaut. Ein israelisches Gericht entschied, dass der ca. 80 Quadratmeter große Anbau illegal war und verhängt eine Strafgebühr. Im gleichen Jahr wurde der Anbau von der jüdischen Siedlergruppe besetzt. Im Juli 2007 entschied das Oberste Gericht, dass die Siedler den Anbau räumen müssen. Die Siedler haben sich geweigert der Entscheidung nachzukommen und die Polizei hat nichts zu ihrer Durchsetzung getan. Mitte Juli 2008 entschied das Oberste Gericht abermals in der Sache – in diesem Fall allerdings für die Siedler. Es ordnete an, dass die al-Kurd Familie ihr Haus innerhalb von 24 Stunden räumen muss, weil sie sich geweigert hatte, den Siedlern Miete zu zahlen. Die Zwangsräumung verzögerte sich dann noch bis Anfang November.

Es ist zu befürchten, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts zum Fall der al-Kurd Familie auch Implikation für die 26 anderen Haushalte hat, die zu diesem umstrittenen Grundstückskomplex gehören. Somit könnten mehr als 500 Menschen von einer Zwangsräumung betroffen sein. Mitte März 2009 haben zwei der Familien (mehr als 50 Menschen) Räumungsverfügungen erhalten, und das obwohl immer noch nicht gerichtlich geklärt ist, wem das Land tatsächlich gehört.  Diese Frage könnte noch auf unerwartete Weise geklärt werden. Nach einem Ha’aretz Bericht soll die türkische Regierung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Spannungen mit Israel beschlossen haben, den palästinensischen Einwohnern von Ost-Jerusalem den Zugang zu ihren Grundbucharchiv zu gestatten, um die Eigentumstitel zu belegen. ]

Während palästinensische Einwohner aus Ost-Jerusalem verdrängt werden, schreitet der Bau von weiteren Wohnungen für jüdische Einwohner fort. Wie der Bericht der Friedensgruppe „Peace Now“ von Anfang des letzten Jahres zeigt, ist dies ein anhaltender Trend,  der trotz aller Kritik im In- und Ausland eher zu als abnimmt. So zeigt der letzte Siedlungsbericht von „Peace Now“ (März 2009) nicht nur die Planung weiter Wohneinheiten in Ost-Jerusalem sondern auch eine Entwicklung in der Verwirklichung des E-1 Plans. Der Plan wurde ursprünglich 1994 gefasst, wurde aber aufgrund internationalem Drucks bisher nicht umgesetzt. Demnach soll eine neue Siedlung mit 3.250 Wohnungen zwischen Ma’ale Adumim und Ost-Jerusalem errichtet werden. Falls der Plan durchgeführt wird, wird damit die West Bank in zwei Teile geteilt und Ost-Jerusalem von der West Bank abgeschnitten. Nach einem internen Bericht des Verteidigungsministeriums, der vor kurzem veröffentlicht wurde, hat das Planungskomitee den Bau von 1.250 Wohnungen genehmigt. Die Genehmigung bedarf allerdings noch der Zustimmung des Verteidigungsministers. Ein weiteres Projekt für 260 Wohnungen und 10 Hotels mit 2.152 Zimmern liegt dem Planungskomitee zur Entscheidung vor. Ein Industriegebiet von 1,35 Quadratkilometern hat bereits alle erforderlichen Genehmigungen.

Trotz der Entschlossenheit der Betroffenen, verschiedener Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen und der hiesigen Oppositionsgruppen gegen die Siedlungs- und Bodenpolitik zu kämpfen, wird das Gelingen wohl davon abhängen wie viel internationaler Druck in dieser Frage auf die israelische Regierung ausgeübt wird. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass die USA und vielleicht auch die EU bereit sind, sich in diesem Bereich zu engagieren.

Ursula Wokoeck
20. März 2009